In diesem Beitrag klärt Univ. Prof. Dr. Arnold Pollak über den aktuellen Stand (4. August 2022) bezüglich Corona und der Schutzimpfung auf.
Sollen wir bis zum Herbst auf einen neuen Omikron-spezifischen Impfstoff warten?
Mittlerweile gibt es sowohl von Moderna als auch von Pfizer klinische Daten zu Covid-mRNA-Impfstoffen, die gegen Omikron BA.1. wirksam sind. Also jene Omikron-Variante, die sich Ende 2021 in Südafrika und Anfang 2022 in größerem Umfang in Europa ausbreitete. Auf BA.1 folgte eine kleinere Welle mit BA.2 und mittlerweile – wie viele wissen – sind wir mitten in der BA.4/5-Welle.
Spezifische Impfstoffe gegen BA.4/5 werden derzeit in Tierversuchen erprobt. Wenn der Impfstoff im Oktober ausgerollt werden soll, dann wird bis dahin eine große, klinische Phase-II/III-Studie mit einem BA.4/5-spezifischen Impfstoff aber nicht möglich sein. Die Frage, die sich jetzt den Zulassungsbehörden stellt, lautet daher: Sollen sie Omikron-spezifische – einzelne oder kombinierte – Impfstoffe auf Basis der verfügbaren klinischen Daten der BA.1-Komponente zulassen? Oder wäre ein BA.4/5-spezifischer Impfstoff den schon getesteten BA.1-Impfstoffen in Sachen Sicherheit ähnlich genug, um ihn auf Basis von weniger Daten zuzulassen? Also beispielsweise nur auf Basis von Tierversuchsdaten oder einer Kombination aus Tierversuchsdaten und humanen Daten aus kleineren, klinischen Studien. BA.4/5-Impfstoffe sind im Tierversuch überlegen. Die bisherigen Daten von Pfizer, die der US-Gesundheitsbehörde FDA vorgelegt wurden, sind vielversprechend: Im Vergleich zum BA.1-spezifischen Impfstoff ist der aktualisierte BA.4/5-Impfstoff um den Faktor 5 bis 11 besser wirksam. Zusammenfassend: Es gibt deutliche Hinweise, dass der gegen BA.4/5 ausgerichtete Omikron-spezifische Impfstoff hinsichtlich der Neutralisationstiter besser wirksam sein könnte als der an BA.1 ausgerichtete; zumindest sofern die erwartete Herbstwelle eine BA.4/5-Welle wird oder eine Welle durch eine bisher noch unbekannte, neue Variante (z. B. Omikron BA.75), die näher an BA.4/5 ist als an BA.1. Was also die Zulassungsbehörden empfehlen werden, ist derzeit noch unbekannt.
Quelle: P. Graetzl 2022
Im NEJM wurde vor kurzen eine große israelische Studie an 182.000 Personen von O. Magen et.al. zur Wirksamkeit der vierten Corona-Impfung veröffentlicht.
Der Grund für die Studie war die starke Omikron-Welle in Israel bei gleichzeitig abnehmender Immunität nach der dritten Impfung vor allem bei älteren Personen. Ergebnisse: 7 bis 30 Tage nach der vierten Dosis lag die relative Wirksamkeit verglichen mit der Kontrollgruppe gegenüber symptomatischer COVID-Infektion bei 55 Prozent und 68 Prozent der Personen wurden vor einer Aufnahme ins Spital geschützt, 62 Prozent hatten einen Schutz gegen schwere COVID-Erkrankung und 74 Prozent Schutz vor Mortalität durch COVID-19. Somit darf aus dieser großen Studie geschlossen werden, dass die vierte Impfung (mit den bereits zugelassenen Impfstoffen) besonders für ältere- und Risikopersonen sinnvoll und zu empfehlen ist.
Warum macht die Omikron-Variante solche Sorgen? Wie geht es weiter?
Omikron ist viermal so ansteckend wie alle anderen vorangegangenen Varianten (Alpha, Epsilon, Gamma, Delta, etc.) und nur 1/40 so empfindlich gegenüber der Abwehr durch unsere Antikörper („Immunescape“). Wie sich diese gefährlichen Eigenschaften in der Zukunft weiterentwickeln, ist eine offene Frage, aber es gibt Grenzen. Auch die Evolution des Virus ist begrenzt: So wie ein Gepard durch Weiterentwicklung nicht immer schneller und schneller bis „unendlich schnell“ werden kann, wird SARS-CoV-2 nicht unendlich infektiös und antikörperresistent werden. Andere Viren haben bereits so ein „Plateau“ erreicht. Wann für das Coronavirus das Plateau der Übertragbarkeit bzw. wann das Plateau des „Immunescape“ erreicht sein wird, wissen wir nicht, aber irgendwann wird es passieren. Wichtig wird auch sein, ob das Virus die weiteren Mutationen sprunghaft (wie bei Omikron) oder stufenweise durchführen wird und wie etwa beim Influenza-Virus seine Immunescape-Eigenschaften beibehalten wird, weshalb dann jährlich eine Anpassung des Impfstoffes erfolgen müsste. Die Summe aus Immunität durch Antikörper aus Infektionen und Impfungen wird ein entscheidender Faktor in der Evolution des Virus sein. Dann wird die Zukunft von SARS-COV-2 Epidemien, so vermute ich, ganz ähnlich wie die saisonale Grippe ablaufen.
Quelle: Sarah Cobey et.al (Fred Hutchinson Cancer Research Center Seattle, USA)
Was können wir tun, um das Risiko einer erneuten Infektion zu verringern?
Viele der bekannten Verhaltensweisen, die zum Schutz vor Infektionen beitragen, können weiterhin helfen, eine erneute Infektion zu vermeiden. Allerdings gibt es kein magisches Rezept gegen eine COVID-Reinfektion. Sich vor Infektionen zu schützen, ist einerseits wichtig, um sich vor Erkrankung und vor Long Covid (!) zu schützen, aber es ist auch eine Frage der Rücksicht gegenüber allen Mitmenschen, diese keiner Gefahr auszusetzen. Vergessen wir bitte nicht, dass es mehrere Hunderttausende immunsuprimierte Personen in Österreich gibt, bei denen eine Impfung zwar einen besseren aber nicht ausreichenden Schutz vor schwerer Erkrankung bringt. Wichtig bleibt weiterhin, sich impfen und auffrischen zu lassen, auch vier Monate nach einer COVID-Infektion. Die Impfstoffe werden die Immunität stärken, und – die Forschung zeigt es – weiterhin schwerwiegende Folgen wirksam verhindern, sollte man erneut krank werden. „Das wissenschaftliche Vertrauen in die durch Impfstoffe induzierte Immunität war und ist viel höher als in die infektionsinduzierten Immunität“, (Crotty et al.).
Zusätzliche Maßnahmen, in erster Linie das Tragen von FFP2-Masken, die Verbesserung der Belüftung von Innenräumen und das Vermeiden überfüllter Räume können weitere Schutzebenen bieten. Da die meisten Menschen und Gemeinschaften diese allgemeinen Schutzmaßnahmen jedoch weitgehend aufgegeben haben, liegt es am Einzelnen zu entscheiden, wann zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen basierend auf dem individuellen Risiko ergriffen werden, um Infektionen zu vermeiden.
Univ. Prof. Dr. Arnold Pollak, em. Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde (AKH Wien)
