Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Donnerstag an der NS-Vernichtungsstätte Maly Trostinez in Weißrussland im Beisein von Präsident Alexander Lukaschenko ein Mahnmal für die dort ermordeten österreichischen Juden eingeweiht. „Maly Trostinez ist der Name eines Ortes, den wir nicht vergessen dürfen“, sagte Kurz bei der Gedenkfeier nahe der Hauptstadt Minsk. Er erinnerte daran, dass hier Menschen „in namenlosen Massengräbern bestattet wurden, um selbst die Erinnerung an sie auszulöschen“. Das Denkmal „Massiv der Namen“ solle dies verhindern... krone.at
Im Anschluss an die Einweihung sang Oberkantor Shmuel Barzilai das jüdische Totengebet Kaddisch, außerdem wurden die Namen jener österreichischen Opfer verlesen, die am heutigen Tag Geburtstag gehabt hätten. Zum Abschluss der Feier legten die Anwesenden Blumen und Steine auf den Sockel des Denkmals. © Salzburger Nachrichten
Begleitet wurde BK Kurz von IKG-Präsident Oskar Deutsch, der in seiner Rede nicht nur die grausame und traurige Vergangenheit ansprach, sondern auch einen wichtigen Appell an die europäische Gesellschaft richtete: "Zum Abschluss möchte ich Ihnen – gerade hier bei Maly Trostinec – weil die EU auch auf den Scherben und der Asche der Schoah entstanden ist und wir bald EU-Wahlen haben: Neben dem Staat Israel, der eine Lebensversicherung für Jüdinnen und Juden weltweit ist, ist das Friedensprojekt Europa, die EU, der Garant für Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent. Helfen Sie alle mit, dieses Friedensprojekt zu bewahren und noch stärker zu machen."
REDE von IKG-PRÄSIDENT OSKAR DEUTSCH IN MALY TROSTINEC
Sehr geehrte Damen und Herren!
Gerade für Österreich hat Maly Trostinec eine besonders tragische Bedeutung: Von den rund 10.000 hierher deportierten jüdischen Wienerinnen und Wienern sind nur 17 Überlebende bekannt.
Aber gerade die Erinnerung an die Shoah ist ein Auftrag, nicht die Nationalitäten in den Vordergrund zu stellen. In zwei Jahren kamen hier 60.000 Menschen um.
Juden wurden ermordet, weil sie Juden waren.
Politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Kriegsgefangene – sie alle kennen die Liste derer, die die Nazis für lebensunwert erklärt hatten.
Heute sind ganz besondere Menschen hier – Nachfahren von Überlebenden. Sie haben zum Teil sehr weite Anreisen auf sich genommen – aus Kanada, den USA, Israel, den Niederlanden, Großbritannien und Österreich. Ihr seid ein Symbol des Lebens, des Überlebens!
Gerade als Österreicher wissen wir, dass der aufrichtige Umgang mit der Schoah keine Selbstverständlichkeit ist. Umso mehr möchte ich mich für die Errichtung dieses Mahnmals bei Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinem Team bedanken.
Die Geschichte von Maly Trostinec zeigt uns, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht vergessen werden, gleich wie lange sie zurückliegen.
Die Vernichtungsstätte Maly Trostinec ist nicht nur ein Synonym für Massenmord sondern auch für jahrzehntelanges Schweigen, für Verdrängung und Passivität. In Österreich ist es schließlich einer Privatinitiative gelungen, das Schweigen zu durchbrechen und einen Prozess der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen in Gang zu setzen.
Waltraud Barton: Danke! Sie haben sich der schweren Aufgabe angenommen, den Opfern von Maly Trostinec würdevoll zu gedenken. Frau Barton, Sie haben bewiesen, was Engagement bewirken kann.
Bis vor wenigen Jahren gab es weder Namensschilder noch Grabsteine oder sonst eine Erinnerung an die ermordeten Menschen, unter denen sich auch Malvine Barton, die erste Frau von Waltraud Bartons Großvater, befand. Jetzt wird ihr würdevoll gedacht.
Der Shoah-Überlebende und Nobelpreisträger Elie Wiesel fasste die Bedeutung des Gedenkens in einer einfachen Formel zusammen:
„Die Opfer zu vergessen, bedeutet, sie ein zweites Mal zu töten.“
Mit der Einweihung dieses Mahnmals wird ein zweiter Tod verhindert und – mehr noch — wird das Wissen um die Geschehnisse und das Gedenken an die Opfer verewigt und künftigen Generation zugänglich gemacht.
Vorurteile gegenüber Juden und den Staat Israel haben in den letzten Jahren zugenommen. Auch in Österreich sind antisemitische Stereotype nachwievor verbreitet, wie Studien aus jüngerer Zeit belegen.
Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Diese Aussagen sind antisemitisch.
Antisemitismus zersetzt ganze Gesellschaften – unabhängig davon, wo er herkommt. Vor kurzem haben wir sogar in den USA einen rechtsextremen Terroristen erlebt, der Juden ermordet hat, weil sie Juden waren, weil sie in ihrer Synagoge
Vor kurzem haben wir auch Islamisten erlebt, die Juden töteten, weil sie Juden waren.
Beides ist Terrorismus, der auf Hass von Menschen basiert.
Wir leben in einer Zeit, in der Judenfeindlichkeit im politischen Mainstream verpönt ist. Niemand will als Antisemit bezeichnet werden. Selbst die schlimmsten Antisemiten.
Antisemiten sind immer die anderen – hört man. Die jüngste Studie aus Österreich und die Geschehnisse in der Welt beweisen, dass noch viel Arbeit vor uns allen liegt, an allen Ecken und Enden der Gesellschaft.
Für Jüdinnen und Juden bedeutet „Nie wieder“ wirklich „Nie wieder!“– und allen Hindernissen und Vorurteilen zum Trotz gibt es wieder ein vielfältiges jüdisches Leben in Österreich. Die jüdische Gemeinde investiert enorme Summen, Know-How und Zeit in die Sicherheit ihrer Mitglieder.
In Wien haben wir in Kooperation mit der Polizei und der Politik ein sehr hohes Sicherheitsniveau erreicht. Aber ohne diese Maßnahmen wäre heute jüdisches Leben auch in Österreich nicht möglich.
In Erinnerung an die Toten von Maly Trostinec haben wir heute das Mahnmal eingeweiht. Der Gedanke an das Leid tausender Menschen, die hier sterben mussten, berührt mich zutiefst.
Gleichzeitig bin ich auch zuversichtlich, wenn ich sehe, dass sich viele junge Menschen in sehr ernsthafter Weise mit der Geschichte ihres Landes und ihres Kontinents beschäftigen. „Nie wieder!“ ist kein Auftrag an einzelne Politiker, sondern an jeden einzelnen Menschen!
Im Anschluss an die Einweihung sang Oberkantor Shmuel Barzilai das jüdische Totengebet Kaddisch, außerdem wurden die Namen jener österreichischen Opfer verlesen, die am heutigen Tag Geburtstag gehabt hätten. Zum Abschluss der Feier legten die Anwesenden Blumen und Steine auf den Sockel des Denkmals. © Salzburger Nachrichten
Begleitet wurde BK Kurz von IKG-Präsident Oskar Deutsch, der in seiner Rede nicht nur die grausame und traurige Vergangenheit ansprach, sondern auch einen wichtigen Appell an die europäische Gesellschaft richtete: "Zum Abschluss möchte ich Ihnen – gerade hier bei Maly Trostinec – weil die EU auch auf den Scherben und der Asche der Schoah entstanden ist und wir bald EU-Wahlen haben: Neben dem Staat Israel, der eine Lebensversicherung für Jüdinnen und Juden weltweit ist, ist das Friedensprojekt Europa, die EU, der Garant für Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent. Helfen Sie alle mit, dieses Friedensprojekt zu bewahren und noch stärker zu machen."
REDE von IKG-PRÄSIDENT OSKAR DEUTSCH IN MALY TROSTINEC
Sehr geehrte Damen und Herren!
Gerade für Österreich hat Maly Trostinec eine besonders tragische Bedeutung: Von den rund 10.000 hierher deportierten jüdischen Wienerinnen und Wienern sind nur 17 Überlebende bekannt.
Aber gerade die Erinnerung an die Shoah ist ein Auftrag, nicht die Nationalitäten in den Vordergrund zu stellen. In zwei Jahren kamen hier 60.000 Menschen um.
Juden wurden ermordet, weil sie Juden waren.
Politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Kriegsgefangene – sie alle kennen die Liste derer, die die Nazis für lebensunwert erklärt hatten.
Diese Opfer waren auch Österreicher,
sie waren auch Deutsche,
sie waren auch Polen, Russen, Ungarn – und so weiter.
Heute sind ganz besondere Menschen hier – Nachfahren von Überlebenden. Sie haben zum Teil sehr weite Anreisen auf sich genommen – aus Kanada, den USA, Israel, den Niederlanden, Großbritannien und Österreich. Ihr seid ein Symbol des Lebens, des Überlebens!
Gerade als Österreicher wissen wir, dass der aufrichtige Umgang mit der Schoah keine Selbstverständlichkeit ist. Umso mehr möchte ich mich für die Errichtung dieses Mahnmals bei Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinem Team bedanken.
Die Geschichte von Maly Trostinec zeigt uns, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht vergessen werden, gleich wie lange sie zurückliegen.
Die Vernichtungsstätte Maly Trostinec ist nicht nur ein Synonym für Massenmord sondern auch für jahrzehntelanges Schweigen, für Verdrängung und Passivität. In Österreich ist es schließlich einer Privatinitiative gelungen, das Schweigen zu durchbrechen und einen Prozess der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen in Gang zu setzen.
Waltraud Barton: Danke! Sie haben sich der schweren Aufgabe angenommen, den Opfern von Maly Trostinec würdevoll zu gedenken. Frau Barton, Sie haben bewiesen, was Engagement bewirken kann.
Bis vor wenigen Jahren gab es weder Namensschilder noch Grabsteine oder sonst eine Erinnerung an die ermordeten Menschen, unter denen sich auch Malvine Barton, die erste Frau von Waltraud Bartons Großvater, befand. Jetzt wird ihr würdevoll gedacht.
Der Shoah-Überlebende und Nobelpreisträger Elie Wiesel fasste die Bedeutung des Gedenkens in einer einfachen Formel zusammen:
„Die Opfer zu vergessen, bedeutet, sie ein zweites Mal zu töten.“
Mit der Einweihung dieses Mahnmals wird ein zweiter Tod verhindert und – mehr noch — wird das Wissen um die Geschehnisse und das Gedenken an die Opfer verewigt und künftigen Generation zugänglich gemacht.
Vorurteile gegenüber Juden und den Staat Israel haben in den letzten Jahren zugenommen. Auch in Österreich sind antisemitische Stereotype nachwievor verbreitet, wie Studien aus jüngerer Zeit belegen.
19 Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass es kein Zufall sei, dass Juden verfolgt wurden und dass Juden zum Teil selbst schuld seien. Das ist ein Fünftel eines Landes mit fast 9 Millionen Einwohnern.
36 Prozent der Österreicher sagen, dass Juden mit dem Hinweis auf die Schoah versuchen würden, sich heute Vorteile zu verschaffen.
37 Prozent sind dagegen, dass man die Tatsache, dass in der Shoah Juden umgekommen sind, aufwärmt.
Und 39 Prozent glauben, dass Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen.
Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Diese Aussagen sind antisemitisch.
Antisemitismus zersetzt ganze Gesellschaften – unabhängig davon, wo er herkommt. Vor kurzem haben wir sogar in den USA einen rechtsextremen Terroristen erlebt, der Juden ermordet hat, weil sie Juden waren, weil sie in ihrer Synagoge
Vor kurzem haben wir auch Islamisten erlebt, die Juden töteten, weil sie Juden waren.
Beides ist Terrorismus, der auf Hass von Menschen basiert.
Wir leben in einer Zeit, in der Judenfeindlichkeit im politischen Mainstream verpönt ist. Niemand will als Antisemit bezeichnet werden. Selbst die schlimmsten Antisemiten.
Antisemiten sind immer die anderen – hört man. Die jüngste Studie aus Österreich und die Geschehnisse in der Welt beweisen, dass noch viel Arbeit vor uns allen liegt, an allen Ecken und Enden der Gesellschaft.
Für Jüdinnen und Juden bedeutet „Nie wieder“ wirklich „Nie wieder!“– und allen Hindernissen und Vorurteilen zum Trotz gibt es wieder ein vielfältiges jüdisches Leben in Österreich. Die jüdische Gemeinde investiert enorme Summen, Know-How und Zeit in die Sicherheit ihrer Mitglieder.
In Wien haben wir in Kooperation mit der Polizei und der Politik ein sehr hohes Sicherheitsniveau erreicht. Aber ohne diese Maßnahmen wäre heute jüdisches Leben auch in Österreich nicht möglich.
In Erinnerung an die Toten von Maly Trostinec haben wir heute das Mahnmal eingeweiht. Der Gedanke an das Leid tausender Menschen, die hier sterben mussten, berührt mich zutiefst.
Gleichzeitig bin ich auch zuversichtlich, wenn ich sehe, dass sich viele junge Menschen in sehr ernsthafter Weise mit der Geschichte ihres Landes und ihres Kontinents beschäftigen. „Nie wieder!“ ist kein Auftrag an einzelne Politiker, sondern an jeden einzelnen Menschen!
Zum Abschluss möchte ich Ihnen – gerade hier bei Maly Trostinec – weil die EU auch auf den Scherben und der Asche der Schoah entstanden ist und wir bald EU-Wahlen haben: Neben dem Staat Israel, der eine Lebensversicherung für Jüdinnen und Juden weltweit ist, ist das Friedensprojekt Europa, die EU, der Garant für Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent. Helfen Sie alle mit, dieses Friedensprojekt zu bewahren und noch stärker zu machen.