Restitution: Ein Toter kann keinen Vergleich abschließen

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Wien (OTS) - Jahrzehnte kämpfen die Nachfahren der Familie Reitzes um die Restitution ihres einstigen Eigentums, der in Sievering gelegenen sogenannten Postvilla. Nach jahrelangen eigenen aufwendigen Recherchen konnten nun mehrere neue Dokumente im Wiederaufnahmeverfahren vorgelegt werden, die eindeutig das Unrecht der Nachkriegszeit belegen:


Der stets ins Treffen geführte Rückstellungsvergleich aus dem Jahre 1953 zwischen der Familie Reitzes und der Republik Österreich wurde vier Tage nach dem Tod Erwin Reitzes durch seinen einstigen Bevollmächtigten unterzeichnet. Der Vergleich konnte natürlich keine Gültigkeit erlangen. Ein Toter kann keinen Vergleich abschließen.




Zudem wurde der erst kürzlich aufgefundene Abschiedsbrief von Erwin Reitzes vorgelegt. Es ist ein erschütterndes Dokument eines Menschen, der durch Naziverfolgung und Enteignung und der schikanösen Restitutionspraxis der Nachkriegszeit psychisch zerbricht und seine Handlungsfähigkeit einbüßt. Die Schiedsinstanz leugnete stets diese Ausnahmesituation, ignorierte ein diese psychische Situation beschreibendes Gutachten und zog sich zu Unrecht auf den Standpunkt zurück, bei den Antragstellern handle es sich doch ohnedies um "vermögende Leute".


Die Schiedsinstanz geht gar nicht einmal auf diese neu aufgefundenen Dokumente ein, sondern schmettert alles aus rein formaljuristischen Gründen der Verjährung ab.



Nicht nur das Unrecht aus der Nachkriegszeit, auch die inhaltlich falsche Entscheidung der Schiedsinstanz aus 2006 soll bestehen bleiben. In der gerade erlassenen jüngsten Entscheidung zur Postvilla schreibt die Schiedsinstanz, dass sie "in alle Richtungen ermittle" und dass in vielen Fällen "bei der Beweisermittlung die Mitarbeit der AntragstellerInnen nur mehr in jenen Bereichen notwendig (sei), die das Erbrecht … betreffen" oder, dass es die Praxis der Schiedsinstanz sei "die AntragstellerInnen umfassend zu unterstützen und die ihr zugänglichen Beweise zu erheben und damit den AntragstellerInnen die Beweislast in wesentlichen Bereichen abzunehmen". Die IKG kann das nicht bestätigen. In vielen Fällen liegen die Beweisergebnisse wegen unzureichender Recherche der Schiedsinstanz nicht vor und es wurden Anträge gerade mangels Beweisen abgelehnt. Das ist schon traurig. Es ist aber schlimmer, wenn Antragsteller, die die Mühe der Recherche auf eigene Kosten unternehmen und auch tatsächlich Beweise finden und vorlegen dann mit dem Argument zurückgewiesen werden, dass die Frist der Wiederaufnahme abgelaufen sei.


Die Postvilla ist kein Einzelfall. Bereits im Rückstellungsfall Weihburggasse, einem der ersten Fälle der Schiedsinstanz, waren es die Antragsteller, die die notwendigen Beweise in den österreichischen Archiven auffanden. Nicht nur hat die Schiedsinstanz diese Unterlagen nicht gefunden, sie war auch nicht bereit, den Antragstellern ausreichend Zeit für die Sichtung der Unterlagen zu gewähren. Im Fall Weihburggasse konnte eine Aussetzung des Verfahrens schwere Nachteile für die Antragsteller verhindern.

Von der Weihburgasse bis zur Postvilla zieht sich wie ein roter Faden die Reihe der Versäumnisse der Schiedsinstanz.


Oskar Deutsch
Präsident Israelitische Kultusgemeinde / Israelitische Religionsgesellschaft


Erika Jakubovits
Exekutivdirektorin des Präsidiums Israeltische Kultusgemeinde