Michel Friedman zur Zukunft der Juden in Europa

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Mit Michel Friedman war hoher Besuch zu Gast in Wien. Dies war Anlass genug, ein Abendprogramm exklusiv für die Gemeindemitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde zu organisieren. Der Stadttempel war voll, als Friedman am 13. März 2024 einen Vortrag über die Zukunft des Judentums in Europa hielt. Es begrüßten IKG Wien Präsident Oskar Deutsch, B´nai B´rith Österreich Präsident Victor Wagner und Oberrabbiner Jaron Engelmayer.

Einleitend begann Friedman mit der Frage der Identität. Was ein Jude sei und ob man denn nicht als Jude auch gleichzeitig Vater, Sohn oder Freund sei. Die Antwort war einfach: Wir sind Menschen. In seinem Vortrag ermutigte er dazu, Begriffe beim Namen zu nennen: Antisemitismus ist der Hass gegen Juden, also gegen eine Menschengruppe. Als demokratiegefährdend sieht er, dass der Hass gegen eine bestimmte Gesellschaftsgruppe in Deutschland und Österreich stetig an Salonfähigkeit zurückgewinnt. Parteien wie die AfD oder die FPÖ seien keine demokratischen Parteien, auch wenn sie als solche gewählt worden sind. 

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Michel Friedman stellte die Frage, die sich viele in der Gemeinde gestellt haben. Wieso hat die Öffnung der Gemeinde nicht dazu geführt, die Begegnungen und Gespräche, dass Antisemitismus so weit zurückgedrängt wird, dass der physische Schutz jüdischen Lebens nicht mehr notwendig ist. Er drückte damit die Enttäuschung vieler Jüdinnen und Juden aus – über die Welle an Antisemitismus, die jüdische Gemeinden nach dem 7. Oktober erleben.

Plädoyer für die Demokratie und die Menschenrechte

Friedman betonte, dass alle Menschen Rechte haben – es ist eine Grundlage für jede demokratische Gesellschaft und auch für jüdische Gemeinden. Dieser Anspruch gelte für alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung.

Niemand, so Friedman, dürfe sich erlauben, müde zu werden im Kampf für Menschenrechte – für sich und vor allem auch für die kommenden Generationen. Friedman konstatiert, dass Demokratinnen und Demokraten müde geworden wären, während jene, die die Demokratie zerstören wollen, laut sind, obwohl sie die Minderheit sind. Jüdisches Leben ist aber nur in Demokratien möglich. Auch global ist diese Perspektive essenziell: Sind Demokratien in der Lage sich zu verteidigen gegen Autokratien?

Friedman sprach über das Positivbeispiel Polen und zeigte damit, dass Wandel möglich ist.

Lebhafter Dialog mit dem Publikum

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Im Anschluss behandelten die Fragen aus dem Publikum etwa die Frage, wie es sein kann, dass Rechtsextreme zum Teil proisraelische Äußerungen tätigen, obwohl sie oft auch antisemitisch sind. Friedman erklärte, dass diese Äußerungen uns nicht blind für die menschenverachtende Ideologie machen darf und diese Erklärungen oft gegen Muslime gewandt werden.

Friedman stellte auch klar, dass Israel eine Demokratie ist und man sieht es zum Beispiel dadurch, dass vor dem 7. Oktober hunderttausende gegen die Regierung in Israel demonstriert haben. Wenn aber Vernichtungsfantasien geäußert werden, dann ist das Antisemitismus. Er lässt sich auch Israel nicht vergleichen mit Diktaturen wie in Russland, China oder anderswo.

Auf die Frage zur Zukunft der Jüdinnen und Juden in Deutschland machte Friedman klar, dass die FPÖ gefährlicher für jüdische Gemeinden ist, als etwa Islamisten, da diese im Parlament sitzt und in die Regierung will. Deshalb ist es auch wichtig an Wahlen, wie jener zum Europäischen Parlament, teilzunehmen.

Im Kampf gegen antidemokratische Tendenzen stellt sich laut Friedman immer auch die Frage, wie sich dieser auf die Gesellschaft auswirke. Laut Friedman liegt hier auch das Problem: Die Gedanken antidemokratischer Kräfte sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Demokratinnen und Demokraten müssen sich dieser Herausforderung stellen, so Friedman und man soll sich auch selbst seinen eigenen Vorurteilen stellen. Dabei stellte er sich auch gegen jede Verallgemeinerung von Personengruppen.

In Richtung der Universitäten meinte Friedman, dass er besonders von den Rektoraten fordert, dass sie bei Angriffen auf Jüdinnen und Juden handeln und nicht vorgeben, als wären sie hilflos.

Der Abend wurde von B'nai B'rith Zwi Perez Chajes Loge, der IKG Wien und der IKG.Kultur organisiert.

Weitere Stimmen zum Vortrag: https://www.wina-magazin.at/judenhass/